Im Netz kursieren viele Mythen zur allgemeinen Impfpflicht – eine ehemalige Rechtsanwältin klärt auf

Es ist nicht der erste Gastbeitrag, den die pensionierte Anwältin, die unter dem Pseudonym „Margot Lescaux“ hier auch kommentiert, für uns alle verfasst hat: im Februar hat sie bereits ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts analysiert und für Rechtslaien verständlich dargestellt. Vor einigen Wochen hat sie in einigen Kommentaren, die wir als Beitrag hier veröffentlicht haben, bereits einen Gesetzesentwurf für eine allgemeine Impfpflicht erläutert und außerdem in einem weiteren Beitrag geschildert, wie es insbesondere mit dem Zwangs- und Bußgeld aussieht. In dem Beitrag heute geht es auch wieder um die (eventuell anstehende) allgemeine Impfpflicht in Deutschland. Dort gibt es derzeit nicht nur einen Gesetzesentwurf, sondern mit den unterschiedlichsten Anträgen kommen wir auf insgesamt fünf. Frau Lescaux stellt diese hier vor und fasst die wesentlichen Punkte zusammen:

Abstimmung am 07. April ist wahrscheinlich

Am 7. April 2022 soll im Bundestag über die Corona-Impfpflicht abgestimmt werden. Inzwischen ist die Tagesordnung soweit ergänzt, dass doch davon ausgegangen werden muss, dass am 7. April demnach nicht nur die zweite Lesung stattfinden soll, sondern im Anschluss daran auch bereits die Abstimmungen stattfinden sollen.
Terminiert ist laut Sitzungsplan von 9.00 Uhr morgens bis 10.40 Uhr. Danach steht das Thema Ukrainehilfe auf der Sitzungsordnung. In den Erörterungen zur Tagesordnung heißt es allerdings, dass nach einer 70-minütigen Debatte mit mehreren namentlichen Abstimmungen zu rechnen ist. Dann müsste die „Ukrainehilfe“ eigentlich wegfallen und umterminiert werden. So ist es jedenfalls Stand heute Abend.

Übersicht über die Gesetzesentwürfe und Anträge

Es gibt zwei Gesetzesentwürfe (GE) und drei Anträge (A).

Gesetzesentwurf 1

Der erste Gesetzesentwurf von Abgeordneten der Ampel-Koalition: Drucksache 20/899
betrifft die Impfpflicht bzw. Impfnachweispflicht für alle Erwachsenen ab 18 Jahren. Diesen hatten wir hier bereits erörtert.

Gesetzesentwurf 2

Der zweite Gesetzesentwurf: Drucksache 20/954 wurde eingereicht von einer Gruppe um den Abgeordneten Dr. Andrew Ullmann (FDP). Er betrifft

eine Impfberatungspflicht für alle nicht geimpften oder nicht-befreiten oder nicht-schwangeren Erwachsenenund eine Impfpflicht für Personen im Alter von über 50 Jahren. Und zwar unter Vorbehalt.
Näheres siehe unten.

Da angeblich keiner der einzelnen Entwürfe zur Zeit mehrheitsfähig sein soll, finden laut Pressemitteilungen wohl zur Zeit Gespräche dahingehend statt, dass man aus diesen beiden Gesetzesentwürfen einen mehrheitsfähigen Kompromissvorschlag ausarbeiten will.
Weitere Einzelheiten, auch zu den Unterschieden zwischen den beiden Entwürfen, siehe weiter unten.

Dann gibt es drei Anträge, die nicht als Gesetzesvorschlag ausformuliert sind. Diese Anträge sind relativ überschaubar – je einige Seiten – und als Fließtext besser lesbar als ein Gesetzesentwurf. Mit diesen können wir uns näher beschäftigen, wenn einer von ihnen die Stimmenmehrheit bekommen sollte.

Antrag 1 – Drucksache 20/978

Drucksache 20/978 ist ein von der CDU/CSU vorgelegter Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, einen Gesetzesentwurf für ein Impfvorsorgegesetz auszuarbeiten. Hier geht es um die Schaffung eines Impfregisters, eine verstärkte Impfkampagne und um die Definition von Kriterien, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bzw für Menschen einer bestimmten Altersschwelle (z.B. ab 50 Jahren) einsetzen soll. Als Sanktionierung soll ein Bußgeld vorgesehen sein.

Antrag 2 – Drucksache 20/680

Drucksache 20/680 ist ein von einer Gruppe um Herrn Wolfgang Kubicki (FDP) vorgelegter Antrag an die Bundesregierung, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Eine Impfpflicht ist nicht vorgesehen.

Antrag 3 – Drucksache 20/680

Drucksache 20/516 ist ein Antrag von Politikern der AfD dahingehend, dass die Bundesregierung beschließen möge, von Plänen für eine Impfpflicht abzusehen und einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, mit dem die bereits bestehende einrichtungsbezogene Impfpflicht aufgehoben werden soll.

Zu den beiden Gesetzesentwürfen:

Den Entwurf 1 haben wir hier bereits ausführlich besprochen.
Der Entwurf 2 entspricht in weiten Teilen dem Entwurf 1. Er ist größtenteils wortwörtlich abgeschrieben.
Details bzw. Unterschiede:

Siehe § 20 a auf Seite 12 der Drucksache
Alle Erwachsenen ab 18 Jahren sind verpflichtet, bis zum 15. September 2022 gegenüber ihrer Krankenkasse einen Nachweis vorzulegen. Und zwar entwedereinen Impf- oder Genesenennachweisoder einen Nachweis über eine medizinische Kontraindikation bzw. einen Nachweis über das Vorliegen einer Schwangerschaft im 1. Dritteloder (abweichend zu GE-1): einen Nachweis über eine „individuelle ärztliche Beratung zu Schutzimpfungen gegen das Coronavirus“§ 20 b ab Seite 14:
Hier wird eine Impfpflicht für alle Personen ab Vollendung des 50. Lebensjahres vorgesehen. Diese soll aber nicht schon jetzt bzw. ab einem schon jetzt bekannten Datum in Kraft treten. Sie soll abhängig sein von einem vorher noch gesondert zu treffenden Beschluss des Bundestages auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Impfquoten und Virusvarianten (Details nachzulesen auf Seite 14).
Näheres hierzu steht in den Erläuterungen auf Seite 38 unter „Zu Absatz 1“.Die einrichtungsbezogene Impfpflicht bleibt ebenfalls bestehen, § 20 c, Seite 15.Wie in GE-1 soll das Gesetz gelten bis zum 31.12.2023 mit Verlängerungsmöglichkeit.Wie in GE-1 ist in § 22 a eine Regelung vorgesehen, nach der durch Rechtsverordnung die Voraussetzungen zur Erlangung eines gültigen Impf- bzw Genesenennachweises geändert werden können.
Auch hier heißt es sowohl im Gesetzestext als auch in den Erläuterungen auf Seite 42 unter „Zu Satz 1“, dass nur Änderungen vorgenommen werden dürfen, die für die Betroffenen vorteilhaft sind – es dürfen keine strengeren Anforderungen getroffen werden. Über die Auslegung dieser Formulierung ist hier bereits ausführlich diskutiert worden.Wie in GE-1 ist die Verhängung von Bußgeld und von Zwangsgeld vorgesehen, wobei die Höhe des Bußgeldes sich auf bis zu € 2.500,- belaufen kann.

Zwangsgeld und Bußgeld

Zum Zwangsgeld: Ich verweise auf den Vor-Artikel hier im Blog.
Eine betragsmäßige Begrenzung ist nicht vorgesehen.
Das heißt: im Verwaltungsvollstreckungsgesetz steht, dass ein Zwangsgeld bis zu € 25.000,– betragen kann.

Bedeutet das, dass diese Höhe voll ausgeschöpft werden könnte?

Das Bußgeld – bitte den Unterschied zwischen Bußgeld und Zwangsgeld beachten – ist in beiden Gesetzesentwürfen auf bis zu € 2.500,– gedeckelt. Das Zwangsgeld ist nicht gedeckelt.
Aber: In den inzwischen bekannt gewordenen diversen „Handlungsleitenden Anweisungen“ der Landesgesundheitsämter zu der soeben in Kraft getretenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht heißt es,

dass das Bußgeld möglichst bis zur Höhe von € 2.500,– voll ausgeschöpft werden soll.und dass ein Zwangsgeld bis zur Höhe von € 1.500,– verhängt werden kann.

Das bedeutet: Im Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht selbst ist das möglicherweise zu verhängende Zwangsgeld nicht betraglich gedeckelt, wohl aber in den dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen.
Das kann ein Hinweis darauf sein, dass auch bei evtl. Inkrafttreten eines Impfpflichtgesetzes das Zwangsgeld, welches also theoretisch bis zu € 25.000,– betragen kann, in einer nachträglichen Verwaltungsanweisung begrenzt werden könnte. Kann sein, muss nicht sein.

Zur Erinnerung: Bußgeld kann pro Ordnungswidrigkeit einmal verhängt werden. Zwangsgeld kann bis zur Erfüllung der Pflicht mehrmals verhängt werden.

Sind Haftstrafen und Zwangsimpfung möglich?

Ersatzzwanghaft oder Erzwingungshaft sind in beiden Gesetzesentwürfen ausdrücklich ausgeschlossen worden. Wer also nicht zahlen kann, nicht zahlen will, wird nicht stattdessen mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe rechnen müssen.

Eine weitere Klarstellung.
Es geistert ein Gerücht durchs Internet, es könnten Haftstrafen oder sogar eine Zwangsimpfung – vollzogen durch körperliche Gewaltanwendung – möglich sein. Dieses Gerücht basiert wohl auf einem Schriftstück des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages:

Allgemeine COVID-19-Impfpflicht – Sanktionsmöglichkeiten und Verwaltungsvollstreckung.

Dieses datiert vom 3. Dezember 2021. Es handelt sich um ein juristisches Gutachten, in dem allgemein vorgestellt wird, welche Möglichkeiten es im Verwaltungsrecht grundsätzlich gibt, um Maßnahmen zu vollstrecken. Es wird dann auf der letzten Seite dieses Gutachtens noch kurz erörtert, ob insbesondere körperlicher Zwang zur Durchsetzung einer Impfpflicht verhältnismäßig wäre.

Es muss im Internet Artikel gegeben haben, in denen suggeriert wird, diese Erörterungen wären Bestandteil der Gesetzesvorlage.
Das ist nicht der Fall. Jegliche Freiheitsstrafen und erst recht jegliche zwangsweise Verabreichung einer Impfung sind ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Irreführender Artikel in der Berliner Zeitung

Inzwischen hat sich auch ein Artikel in der Berliner Zeitung mit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes beschäftigt:

In diesem Artikel wird zwar ganz zu Beginn kurz darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Gesetzesentwürfe keinen unmittelbaren Zwang (sprich: körperliche Gewalt) vorsehen. Im weiteren wird aber ausführlichst auf das Gutachten eingegangen, ohne dass z.B am Ende des Artikels noch einmal klargestellt wird, dass alle dort erörterten Möglichkeiten in den Gesetzesentwürfen eben ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Diese weiteren Zwangsmittel – Körperlicher Zwang bzw. Inhaftnahme – sind nicht nur nicht vorgesehen, sie sind ausgeschlossen.

Beide Entwürfe enthalten einen § 54 c „Zwangsmittel“. Es heißt dort:

Zur Durchsetzung …. ist ausschließlich das Zwangsmittel des Zwangsgeldes zulässig.

Das bedeutet, dass im Geltungsbereich der vorgesehenen Impfpflichten von den im Verwaltungsvollstreckungsgesetz §§ 9 – 12 vorgesehenen Zwangsmittel „nur“ das Zwangsgeld angewendet werden darf.
„Unmittelbarer Zwang“ ist ausgeschlossen, weil er durch die Formulierung „ausschließlich … Zwangsgeldes“ ausgeschlossen ist.
Haft ist wortwörtlich ausgeschlossen.

Eine andersartige Entscheidung liegt deshalb eben auch nicht „im Ermessen der Behörde“, wie es in dem BZ-Artikel weiter heißt. Ein behördliches Ermessen kann nur im Rahmen eines Gesetzes erfolgen. Wenn also ein Zwangsgeld vorgesehen ist, hat die Behörde ein Ermessen bei den Fragen – ob / wann / wie.
Ist eine Rechtsfolge oder Maßnahme gar nicht erst vorgesehen, ist insoweit auch kein Raum für Ermessen vorhanden. Eine Behörde kann keine Rechtsfolge hinzuerfinden, die in einem Gesetz nicht vorgesehen oder sogar ausgeschlossen ist.

Dass diese Rechtsfolgen an anderer Stelle im Infektionsschutzgesetz vorgesehen sind, ändert nichts daran. Durch die Gesetzesentwürfe sollen neue Bestimmungen in das IfSG eingeführt werden, die eben so ausformuliert sind, wie oben dargelegt und die deshalb jedenfalls für den Bereich einer „Impfpflicht“ vorrangig wären.

Wir danken Margot Lescaux (wieder einmal) herzlich für die detaillierte und verständliche Auswertung, die sicherlich viel Zeit in Anspruch genommen hat und gewiss vielen Lesern Licht ins Dunkel bringt.

Abonniert gerne den Telegram Kanal – Corona ist nicht das Problem, dort könnt ihr euch noch umfangreicher als hier auf dem Blog informieren.

Quelle

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