Mit zehn Punkten will eine Gruppe kritischer Journalisten die Erneuerung des Journalismus in Österreich anstoßen. Per Petition können sie unterstützt werden. Seit Februar organisieren sich rund zwei Dutzend österreichische Journalisten. Zuletzt gingen einige von ihnen mit einer Petition an die Öffentlichkeit, die mit einem „Zehn-Punkte-Programm“ eine Erneuerung des Journalismus in Österreich fordert.
Darin heißt es:
Neustart für den österreichischen Journalismus
Unabhängiger, kritischer und ausgewogener Journalismus steht unter Druck. Die Leit- und Qualitätsmedien werden der Aufgabe, neutrale und komplexe Rechercheergebnisse anzubieten, immer weniger gerecht. Meinungsmache und Berichterstattung verschwimmen. Das wurde in der Corona-Krise offensichtlich.
Um die Aufgaben eines kritischen und nicht-tendenziösen Journalismus zu erfüllen, braucht es politische Instrumente wie ein Informationsfreiheitsgesetz oder die Vergabe von Inseraten aus Steuergeldern nach transparenten Kriterien. Vor allem plädieren wir als Medienschaffende mit vieljähriger Erfahrung aber für einen medieninternen Reformprozess und eine Selbstreflexion der Journalistinnen und Journalisten in Österreich.
In einem Zehn-Punkte-Programm – einzusehen auf der Plattform change.org – formulieren wir Grundsätze dieses journalistischen Arbeitens:
Der „Zehn Punkte Plan“
Die folgenden Grundsätze für journalistische Arbeit sollten für Medien aller Art gelten: Print, TV, Hörfunk, digitale Medien sowie die sozialen Medien (Plattformen, journalistische Kanäle wie Twitter etc.)
1. Die Zielgruppe: Journalismus muss für die Bevölkerung da sein und dient nicht als Vehikel zur Untermauerung eines Narrativs von Politik, Herrschenden oder Interessensverbänden.
2. Die vierte Gewalt: Medien müssen ihre Rolle als vierte Gewalt ernst nehmen. Ihre Aufgabe als Kontrollorgan von Politik und Wirtschaft ist umso bedeutsamer, je mehr andere Säulen der Demokratie ins Wanken geraten. Die Arbeit der Medien sollte sich unter diesen Gegebenheiten wieder an jenen Werten orientieren, die im Ehrenkodex des Österreichischen Presserats zu finden sind. https://www.presserat.at/show_content.php?sid=3
3. Berichterstattung: Klare Abgrenzungen von Meinung und Bericht bzw. Meldung: Die Unterschiede in der Art der Artikel müssen für Leserinnen und Leser kenntlich gemacht sein.
„Faktenchecks“ sind kein geeigneter journalistischer Zugang und als Methodik oder „journalistische Darstellungsform“ strikt abzulehnen: Der Begriff suggeriert, die „Wahrheit“ zu kennen und den Überblick über alle „Fakten“ zu haben; er wird dogmatisch eingesetzt. Der Verweis auf sich vermeintlich für „Wahrheit“ verbürgende „Faktenchecks“ behindert eine ergebnisoffene Recherche und engt den Diskurs ein. Journalismus ist aber genau das: ein ergebnisoffenes Sammeln, Einordnen, Bewerten von und Berichten über Fakten/Erkenntnisse/Erfahrungen etc. Das setzt natürlich voraus, dass sich diese Recherchen auf seriöse Quellen stützen.
Wir distanzieren uns von der Praxis der Negativschlagzeilen: Diese vermitteln eine einseitige Sicht der Welt und hinterlassen ein Gefühl der Ohnmacht.
Wir plädieren für einen lösungsorientierten Ansatz im Sinne eines konstruktiven Journalismus. Dieser vermag Medienrezipientinnen und -rezipienten Zuversicht zu geben, dass Veränderung möglich ist. Es geht darum, nicht nur Probleme, sondern auch mögliche Lösungen aufzuzeigen.
4. Qualität: Lieber Qualität und Niveau als schnell verfasste Artikel mit geringer Halbwertszeit. Lieber Mut zur Lücke als Lückenbüßer-Textbeiträge.
5. Sprache und Sprachkritik: Zu integrer journalistischer Arbeit gehört es, Sprache, die verwendet wird, kritisch zu hinterfragen: die eigene, aber auch die Sprache, an der sich gesellschaftliche Tendenzen ablesen lassen. Zur kritischen Spracharbeit gehört es, diese Zeichen zu lesen und sie bewusst zu machen.
Sachlichkeit: Ideologische Kampfbegriffe, Schlagworte und Schubladisierungen sind zu vermeiden. Polemische Zuspitzungen sind legitim, Meinung und Bericht sind jedoch auseinanderzuhalten und müssen klar erkennbar sein. Manipulation der Leserinnen und Leser mittels einschlägiger Sprache und Kampfrhetorik ist nicht zulässig.
Achtung der Würde: Alles, was die menschliche Würde herabsetzt – Diffamierung, Hetze, Diskriminierung etc. – hat in der Berichterstattung nichts verloren. Gesellschaftliche und politische Tendenzen der Spaltung und Hetze etwa müssen journalistisch aufgegriffen und thematisiert werden.
Keine Vorverurteilungen: Für Behauptungen müssen konkrete Beweise erbracht werden. Durch lose Assoziationen Zusammenhänge herzustellen, die mit wertenden Behauptungen verknüpft werden, ist nicht zulässig. (Bsp: X hat eine Nähe zur Partei Y, diese wiederum hat angeblich Mitglieder mit AFD/FPÖ-Nähe, also ist X jemand mit Verbindungen zum Rechtsextremismus).
6. Politik und Ideologie: Politische Tendenz in der Berichterstattung sollte möglichst vermieden, zumindest aber selbstkritisch reflektiert und entsprechend ausgewiesen werden. Grundsätzlich gilt: politisch-ideologische Vielstimmigkeit statt Monochromie. Wir lehnen Fremdzuschreibungen wie „rechtsextrem“ oder „links-links“ ab.
7. Transparenz: Mediale Abhängigkeiten sollten transparent gemacht werden (Finanzierung, Nähe zu politischen Parteien etc.)
8. Demokratie: Ein freier, unabhängiger Journalismus bildet die Spitze der freien Meinungsäußerung in einer Demokratie. Ihn gilt es sicherzustellen, um unsere demokratische Gesellschaftsform zu schützen und zu erhalten.
9. Keine Tabus: Denkverbote sollte es nicht geben. Journalisten sollten berichten dürfen, was ihnen wichtig erscheint, und die Plattform dafür erhalten. Wir reden über alles und mit jedem. Den Begriff „Verschwörungstheorie“ halten wir für einen Kampfbegriff, der Journalistinnen und Journalisten daran hindert, Themen aufzugreifen. Das lehnen wir ab.
10. Objektivität: Ein umfassender, viele Aspekte beleuchtender Journalismus verpflichtet sich dem Credo der Objektivität. Darunter verstehen wir eine ausgewogene Berichterstattung. Also: ergebnisoffene und unvoreingenommene Recherche sowie die Präsentation unterschiedlicher Sichtweisen und möglicher Interpretationen. Uns ist bewusst, dass „Objektivität“ nicht existiert, dass man sich ihr nur annähern kann.
Die Petition kann hier gezeichnet werden:
www.change.org/p/für-eine-erneuerung-des-journalismus-in-österreich